von Sophie Sumburane

Zerkratztes Glas

Kratzen an der Decke aus Glas, an der Glocke über dir, mit eingerissenen Nägeln. Rufen durch die Atmosphäre aus Regen, durch die Wand aus Nebel, mit heiserer Stimme. So verbringst du deine Zeit, mit tausenden Dingen und Fragen und Aufgaben und Problemen, um dich herum, mit deinem Kind auf dem Schoß, dem Essen auf dem Herd, der Wäsche in der Maschine, den Lehrerinnen-Mails im Postfach, den Rechnungen im Briefkasten. Unter der Glocke, gefüllt mit Nebel, durch den hindurch du erahnen kannst, was die anderen sehen. Und immer, wirklich immer, wenn du Zeit hast, kurz nur Zeit hast, kratzt du von innen an der gläsernen Glocke und hinterlässt deine Spuren im Glas. Bis irgendwer dich sieht, bis einer von außen reagiert und näherkommt, seine eigene Party einen Augenblick verlässt, um deinen Nebel kurz zu lichten.

Und dann:

Reden mit Zungen aus Gold, mit Worten aus Watte, mit schwerem Herzen. Sich zeigen mit den letzten strahlenden Kleidern, mit dem Inneren außen, nur, damit er nicht wieder geht. Er, der so natürlich auf der Party ist und schon immer war. Und die Glocke hebt sich kurz und der Regen stoppt ganz kurz und der Nebel lichtet sich, einen Moment, einen nur und du nutzt die Lücke, die er dir bietet, und er schaut dich an. Du siehst die Kratzer im Glas nun von außen, du siehst alle anderen Frauen noch immer im Nebel.

Und du bist auf der Party, erschöpft. Und du bist plötzlich ein Teil dessen, ausgelaugt. Und du siehst nur ganz wenige Frauen, laut lachend. Alle, die hier sind, sind leicht, nur du bist schwer und spürst das auch, sollst aber so tun, als wärst du leicht, aber er nimmt dich an die Hand und ist leicht. Und du spürst, mach die Dinge so wie alle, oder zurück in den Nebel, und du spürst, du findest hier, so wie du bist, nicht statt, bist gar nicht da, sie sehen dich nicht, du hast deinen Nebel mitgebracht. Alle feiern sich selbst, sind präsent, dir fehlt dein Kind, Schweißränder bilden sich im Stoff deines Kleides und du drehst dich um. Zu der Glocke aus Glas und denkst, ha, ich bin immerhin da raus, ich lebe jetzt, ich schreibe jetzt, ich bin ein Teil von dem, was er großartig nennt, sich gar nicht großartig anfühlt, aber du bist dabei.

Alle rauchen um dich rum, alle bilden lange, viel zu schwere Sätze. Bedeutungsschwanger ist das einzige Schwanger, das sie kennen und sie lieben es. Wie unverständlich muss ich klingen, um als intellektuell zu gelten? Wie wenig zugänglich muss die Party sein, um sich elitär zu nennen? Und warum ist es etwas, was sie als wichtig behaupten? Und warum gibt es keine Kinder hier? Und warum ist es alles, wenn du nur genau hinschaust, so staubig und kalt und wichtig? Und warum sind alle Frauen hier Vergrößerungsspiegel und dürfen dafür dabei sein?

Aber plötzlich leuchtet ein Licht im Nebel der Glocke hinter dir. Plötzlich wird er bunt, plötzlich ertönt Musik, gedämpft durch das zerkratzte Glas. Die gläserne Decke, durch die du dich gekämpft hast, durch die du immer sehen konntest, aber nie hindurch konntest, sie pulsiert und ist bunt. Und sie lebt. Und in ihr singt es. Und die Frauen singen. Und die Männer nicht. Und mir fehlt mein Kind. Und ich gehe zurück. Einfach hindurch, durch die gläserne Wand mit den zahlreichen Kratzern und spüre die Wärme und die Blumen und mein Kind.

Regeln, Orthografie schreien sie und hier lachen alle: Aber so, so macht es mehr Spaß, wir machen das so. Ich macht es falsch! Wir machen es anders. Ihr macht es falsch! Wir machen es nicht wie ihr. Ihr macht es falsch! Dann müssen wir ändern, was ‚richtig‘ heißt. Das ist falsch, das ist falsch. Dann bleibt doch einfach dort, und wir hier und du spielst mit vier Kindern, während die Mütter schreiben und du sitzt auf einer Bühne, während die Frauen lauschen und die anderen rufen: das ist falsch! Und du siehst, wie so viele hier herüberkommen, wie es immer bunter wird unter der Glocke, immer staubiger außerhalb der Glocke und irgendwann ist das Innen das Außen, die Dinge gehen gemeinsam, die Dinge gehen anders, bunt und voller Musik. Und niemand hat eingerissene Fingernägel, keine heiseren Stimmen. Niemand kratzt mehr an Decken aus Glas, hinterlässt zerkratztes Glas und ist erschöpft.

Sophie Sumburane wird im Panel 2: „Edition-Nautilus – Care und Kollegialität“ dabei sein.