von Rasha Habbal

Aus dem Arabischen von Leila Chammaa

Als ich mir erste Gedanken zu diesem Text machte und einem Freund davon erzählte, bemerkte er, dass ich in den letzten fünf Jahren über kaum etwas anderes als Familie geschrieben hatte. Ich war überrascht. Dass sich in mir offensichtlich ein roter Faden vom Dasein als Tochter zu dem als Mutter spann, war mir nie aufgefallen. Zu dem, was ich bin, wurde ich einfach. Übergangslos zog ich aus einem Kontext, in dem der Titel „Vater, Mutter, Geschwister“ klare Rollen definiert, in einen anderen mit noch klareren Rollenvorgaben namens „Ehemann und Kinder“. Auch wenn mich beide Umfelder mit wärmenden Fittichen beschirm(t)en, so sah ich nur die Federn. Mich selbst aber nicht, nicht, wie ich von einer Familie in die nächste glitt.
Dann brach der Tod aus dem Käfig aus und übernahm die Herrschaft, fraß sich in endlosen Kriegsnächten durch die Straße. Angst griff um sich, zeigte mit dem Finger auf die stürzenden Tage. Tage, gerappelt voll mit Menschen. Kaum Zeit blieb für mich und meine privaten Revolten.
Beim Warten auf den Henker lässt sich wunderbar das verschüttete Ich suchen. So folgte ich der Stimme der Frau in meinem Inneren, nahm ihre Worte ernst, schrieb sie auf. Die Frau schmuggelte sich in meinen Alltag. Beide Familien gewöhnten sich an sie und gaben ihr den Namen „Dichterin“. Sie war zu einer Tatsache aus Worten geworden. Nacht für Nacht entfachte sie das Feuer der Liebe, um durchzuhalten, um Stimme, Herz, Gebärmutter zu erlangen und diese an das möglicherweise bevorstehende Leben weiterzugeben. Den jahrelangen Schlummer hatte sie ein für alle Mal hinter sich gelassen.
Als Frau, die bis zum Überdruss für die Liebe warb, schlief ich ein und erwachte als Mutter, die ihren Kindern immerzu Watte ins Ohr säuselte, um vom Krieg abzulenken. Wann ich zur Mutter wurde, weiß ich nicht. Doch eines ist sicher. Im Alter von sieben Jahren war meine rechte Hand genauso groß wie der Hintern meines zweijährigen Bruders, den ich abwischen musste, wenn meine Eltern arbeiteten. Meine Hand wuchs und ich mit ihr mehr und mehr in die Mutterrolle hinein.
Die Wirklichkeit – das verhätschelte Kind des Lebens – erschüttert den Schädel wie ein Blumentopf, der vom Himmel fällt. Nicht tödlich, sondern ein Streich der göttlichen Fürsorge, der dir sagt: Immer, wenn du dich in Sicherheit wähnst, gehst du der Dunkelheit auf den Leim.
Flucht – eine Ohrfeige, ausgeteilt von der Mutter in mir, traf die Liebende mitten ins Gesicht, hallte in meinem Brustkorb wider. Die Liebende verstummte, der Boden schwand, zu dritt rannten wir davon, quer über die Landkarte, zwischen den Zähnen die Kinder, im Reisebündel die Träume.  

Danach hörte ich nur noch ihre Stimme und fügte mich ihr. Sie wurde nun auch zu meiner Mutter, vor der ich hin und wieder weglaufe. Um uns beide auseinanderzuhalten, puzzele ich mir Bilder von ihr zurecht. Aus den Gesichtern meiner Großeltern, Eltern und Kinder, die in meinem Uterus kleben wie Fotos in einem zerschlissenen Album. Ich schenkte ihr meine Stimme und meine rechte Hand, schrieb auf, was sie sagte.
Die Stimme der Mutter stirbt nicht. Deshalb wird jene in mir auch niemals schweigen. Davon bin ich überzeugt. Sie wird stets hörbar sein, selbst im stillen Einvernehmen mit all den anderen Frauen, die nach dem Licht ihrer Wahrheit gieren. Frauen, die, im Rock der Mutter gefangen, die eigene Stimme zu verlieren drohen. All diese Frauen sind unentbehrlich. Nur mit ihrem Zutun kann meine rechte Hand als Tatsache aus Fleisch und Blut bestehen, so wie sie eine Tatsache aus Worten sind.

Rasha Habbal wird im Panel 3: „Weiter Schreiben – Care und Exil“ dabei sein.